Längst nicht ausgestorben

19. October 2020 in 2. Liga Seit 1997 schwenkt Roman Jungwirth beim FC Blau Weiß Linz seine Fahne. Die bewegte Vereinsgeschichte hat er aus der Nähe mitbekommen.

Den Fahnenschwenker kennen die Blau-Weißen alle. Seit über zwanzig Jahren unterstützt er mittlerweile den FC Blau Weiß Linz mit einer sechzehn Quadratmeter großen Fahne. Zunächst noch am Rande des Fanblocks im alten Donaupark, steht er im Stadion der Stadt Linz, der Gugl, nun auf der Laufbahn. Heimspiel hatte er schon lange keines mehr versäumt, bis ihm die Pandemie einen Strich durch die Rechnung machte.

Der Fahnenschwenker heißt Roman Jungwirth, er ist 43 Jahre alt und für den Großteil seines Leben Fan der Blau-Weißen. Sein Vater nahm ihn das erste Mal zu einem Macht mit, er blieb auch, als ihn der Vater nicht mehr begleitete. Egal, in welcher Liga der Verein spielte, Jungwirth war da. Seine Biografie ist eng verknüpft mit der Geschichte eines Klubs, der sich immer wieder neu erfinden musste und dem nicht viel erspart blieb. Dennoch überlebte der Klub auch seine schwärzesten Stunden und konnte sich in den letzten Jahren in der 2. Liga etablieren. Und auch Jungwirth wird ein bisschen aufgeregt, wenn er über die Zukunft des Vereins spricht: „Ich kann mir ein Leben ohne Blau-Weiß nicht vorstellen“, sagt Jungwirth. „Wie denn auch? Ich bin Fan, seit ich zehn Jahre alt bin.“

Angefangen hat alles gegen die Wiener Austria. Am 31. Oktober 1987 betrat Jungwirth das erste Mal die Gugl zu einem Spiel des Vereins, der damals noch VÖEST Linz hieß. Er verlor das Spiel mit 1:3, der zehnjährige Jungwirth war trotzdem begeistert. „Da war was los“, sagt er heute. „Das hat mir getaugt.“

Jungwirth blieb dem Klub erhalten, aber von der Hand des Vaters löste er sich bald. Ins Stadion ging er bald mit anderen Leuten. 1991 gründeten Fans die „Linzer Stahlfront“, die bald der größte Fanklub werden sollte. Die Mitglieder fuhren gemeinsam auswärts, produzierten Fanzines und spielten bei Hobbyturnieren auch im Ausland gegen andere Fanklubs. Jungwirth war mittendrin. Seine Kutte von damals, eine Jeansjacke, von der wegen der vielen Aufnäher nicht viel Denim zu sehen ist, hat er heute noch. Auch wenn er heute ein Trikot trägt, präsentiert er sie beim Interview mit dem 2.Liga-Journal stolz.

Aus seiner Zeit bei der „Stahlfront“ stammt auch Jungwirths Spitzname. „Wir haben uns in der Gruppe damals alle Spitznamen gegeben“, sagt er. „Eigentlich wollte ich ‚Calimero‘ heißen, aber die anderen fanden das nicht so schön.“ Statt nach der italienischen Comicfigur hieß Jungwirth dann einfach „Dino“, wie ein Dinosaurier. Woher genau die Anspielung kam, fällt ihm heute nicht mehr ein.

Wenn er heute über diese Zeit spricht, beginnen seine Augen zu leuchten. Durch ganz Österreich fuhr „Dino“ damals für seinen Verein, große Namen sah er aus der Nähe. 1995 holte der Klub, der damals FC Linz hießt, den Ex-Real-Star Hugo Sanchez, auch Christian Stumpf und der jetzige Trainer Ronald Brunmayr spielten in Blau-Weiß. Großen Erfolg hatte die Mannschaft dennoch nicht. Während sie in den 1970ern noch um die Meisterschaft mitspielte und 1974 den Titel nach Linz holte, pendelte sie nun zwischen zweiter und erster Division. „Sicher haben wir oft eine drauf­gekriegt, aber es war toll, in den großen Stadien zu spielen“, sagt Jungwirth. „Das alte Tivoli in Innsbruck oder die Gruabn in Graz werde ich nie vergessen.“

Doch Jungwirth erinnert sich nicht nur an die großen Namen. Ganz genau kann er auch noch von einer 3:4-Nieder­lage in Spittal an der Drau erzählen. 0:3 lagen die Linzer da schon zurück, mussten nach dem Anschlusstreffer einen Ausschluss hinnehmen. „Wir haben uns trotzdem zurückgekämpft“, sagt Jungwirt heute. „Und uns kurz vor Schluss doch noch alles nehmen lassen“. Denn dank Toren von Brunmayr und Manfred Rothbauer glich der FC Linz aus, kassiert aber in der 86. Minute das 3:4. „Das war schon bitter. Aber es war ein wahn­sinniges Match. Und das Schnitzelsemmerl dort war ein Wahnsinn.“ Am Ende der Saison steigt der Klub dennoch als Meister in die Bundesliga auf – ein letztes Mal.

Denn nach dem Ende der folgenden Saison, im Mai 1997, wurden die beiden Linzer Vereine, der LASK und der FC Linz, zusammengelegt. Zwei Klubs in der Stadt wären finanziell nicht mehr tragbar, hieß es damals von Seiten der Politik und der Vereinsverantwortlichen. Doch der neue Verein hatte nicht mehr viel mit der blau-weißen Tradition gemein: Die Mannschaft lief unter dem Namen LASK in schwarz-weißen Dressen auf, die blau-weißen Fans wandten sich ab. „Ich konnte es nicht glauben“, sagt Jungwirth. „Der Klub war wie verschwunden.“

Es sollte nicht lang dauern, bis er wieder auftauchte. Wenige Monate nach der Fusion erfand er sich in Kooperation mit dem ehemaligen Werksverein der Linzer Tabakwerbe, dem SV Austria Tabak, neu. Die Heimspiele trug der FC Blau-Weiß Linz, wie der Verein seit damals heißt, nicht mehr auf der Gugl, sondern im Donaupark bei der „Tschickbude“ aus. Die „Stahlfront“ trat in den Hintergrund, jüngere Fangruppen rückten nach.

Jungwirth fand im Donaupark eine neue Beschäftigung – und seine Berufung. 1997 begann er im neuen Stadion, eine große Fahnen zu schwenken. „Ich habe damals eine große Holzstange benutzt“, sagt er heute. „Damit habe ich mich einfach an den Rand des Fanblocks gestellt.“ Und näher an seiner Heimat war der Donaupark auch. Jungwirth wuchs in Linz-Urfahr auf, also auf jener Seite der Stadt, die nördlich der Donau liegt. Er musste nur mehr die Brücke, die direkt am Stadion endete, überqueren, um dorthin zu kommen.

Lange Jahre mühte sich Blau-Weiß Linz in der Regionalliga ab. Ab 2000 spielte der Klub dort, eine Saison musste er sogar den Abstieg in die Landesliga verkraften. „Dino“ aber blieb und erlebte im Frühling 2011 das Wunder, als die schon abgeschlagene Mannschaft ab April eine Siegesserie startete. Schließlich gelang der Aufstieg im Elfmeterschießen in der Relegation gegen den Meister der Regionalliga West, die WSG Swarowski Tirol, die damals noch als Wattener SG auflief. „Das Rückspiel in Wattens war eines der schönsten Spiele“, sagt Jungwirth. „Die Momente, als wir nach dem letzten Elfer aufs Feld gelaufen sind, werde ich nie vergessen.“

„Dino“ kam aber nur mit einiger Verzögerung dort an: Denn aufgrund der Sicherheitsbestimmungen durfte er seine Fahne nicht auf die Tribüne mitnehmen und musste sie im Mannschaftsbus zwischenlagern. Für die Siegesfeierlichkeiten auf dem Platz bekam er sie aber zurück.

Der gute Draht zum Verein ist dem Fahnenschwenker ein Anliegen. Er sieht sich als Werbeträger. Wenn er im Winter bei Skirennen oder bei anderen TV-Events ist, versucht sich Jungwirth strategisch zu positionieren. „Ich war einmal beim Silvesterstadl“, sagt er und lacht. „Da habe ich einen Blau-Weiß-Schal in die Kamera gehalten. Das hat man dann im Fernsehen gesehen.“ Manchmal ist er sogar länger im Bild. Erst im Dezember 2018 widmete ihm der Linzer Lokalfernsehsender LT1 ein längeres Porträt. Er trug sein Trikot, auf dessen Rückseite „Roman Dino Fahnenschwenker“ steht.

„Ich bekomme jedes Jahr eines vom Verein“, sagt er. „Die Rückennummern kann ich mir aussuchen. Das hängt von meinem Lieblingsspieler ab.“ Auch sonst stehen sie im engen Kontakt. Als er im Februar 2017 seine Verlobte Kerstin heiratete, überreichte ihm der damalige Vereinspräsident Walter Niedermayr ein Trikot. Denn auch der Klub weiß um seinen treuen Werbeträger. Seit er auf die nationale Bühne zurückgekehrt ist und auch wieder auf der Gugl spielt, steht „Dino“ nicht mehr im Fanblock, sondern auf der Laufbahn davor. Er erhält dafür eine Akkreditierung vom Klub. Das ist wichtig: Die Leidenschaft für den Fußball ist nicht billig, zu jedem Spiel zu gehen eine kostspielige Angelegenheit. „Die Akkreditierung hilft mir sehr. Bei mir ist es finanziell manchmal eng“, sagt er. „Und sie wissen ja, dass ich keinen Blödsinn mache.“

Auf der Laufbahn stand „Dino“ die letzten Jahre. Aus der Holzstange von 1997 ist mittlerweile eine aus Hartplastik geworden, die sich ausziehen lässt. Seine Fahne ist vier mal vier Meter groß. Zusammen wiegt das knapp sieben Kilo. Nach einer halben Stunde Einsatz pausiert er meistens kurz, das durchgehende Schwenken ist anstrengend. Einen Tennisarm habe er sowieso am nächsten Tag, sagt er, aber ohne Pause würde es gar nicht gehen.

Aufgrund der Coronapandemie und den Geisterspielen konnte Jungwirth in den letzten Wochen der abgelaufenen Saison nicht mehr seiner Arbeit als Fahnenschwenker nachgehen und musste mehrere Heimspiele in Folge auslassen. Die Spiele hat er dennoch alle verfolgt, am Computer oder wenn es möglich war im Fernsehen. Sobald es wieder geht, wird „Dino“ aber wieder auf die Gugl gehen. Und er wird nicht allein sein: „Mein Sohn ist jetzt drei Jahre alt“, sagt Jungwirth, der heute mit seiner Familie noch immer in Urfahr lebt. „Ich will ihn jetzt unbedingt einmal mitnehmen.“ Es kann also sein, dass im blau-weißen Linz „Dino“ nicht der einzige Jungwirth bleibt, den alle kennen. Schon jetzt hat der Vater für seinen Bub eine kleinere Fahne.

Von Moritz Ablinger

Dieser Artikel ist im offiziellen Journal der 2. Liga erschienen – erhältlich bei allen Klubs der 2. Liga.

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