01. Aug. 2019

Vorwrts in die Zukunft
Es gibt einen Banner, der auf der Südtribüne des Vorwärts-Stadions besonders gerne präsentiert wird. Auf ihm steht nur ein Wort. Traditionsverein. Es gibt nicht viele Fußballklubs in Österreich, die gemeinhin als ein solcher bezeichnet werden. Und unter diesen wenigen sticht der SK Vorwärts Steyr besonders hervor. Denn es waren nicht unzählige Meistertitel oder Pokalsiege, die dem Klub seinen Kultstatus verliehen. Die Blütezeit des Vereins begann in den 80ern und endete mit einem Finanzcrash im Jahr 2000. Die beste Platzierung der Vereinsgeschichte? Zwei siebte Plätze in der höchsten Spielklasse 1990/91 und 1991/92. Und doch fanden heuer, im Jahr des 100-jährigen Bestehens, unzählige Wegbegleiter und ehemalige Spielergrößen den Weg nach Steyr, um bei Jubiläumsfeierlichkeiten dem Verein die Ehre zu erweisen.
Es reicht ein Besuch an der Volksstraße zu Steyr, dieser engen Spielstätte voller Charakter, in der die Fußballromantik an jeder Ecke zu spüren ist, um zu verstehen, was den Verein ausmacht. Gerade dann, wenn Karl Kötterl im Haus ist. Seit 1970 ist der mittlerweile 76-Jährige – mit kurzen Unterbrechungen – als Masseur beim Verein aktiv. Aber Masseur alleine ist er schon lange nicht mehr, er ist Leiter der medizinischen Abteilung. „Ich habe hier hunderte Spieler und dutzende Trainer miterlebt“, sagt er, während er gerade die zum Umziehen vor dem Training eintrudelnden Spieler von Vorwärts begrüßt. „Wir können gerne ein Interview machen“, sagt er. „Aber wer noch nie da war, der braucht einen Rundgang.“ Kötterl kennt jeden Winkel des Stadions, besonders angetan hat es ihm der Spielertunnel.
„Es war der erste in Österreich und ist bis heute ein Ort der Ehrfurcht“, sagt er und geht den dunklen Gang entlang Richtung Rasen. „Wer hier nach oben geht, der kommt genau bei der Südkurve raus. Die ist immer bestens gefüllt und heizt die Stimmung an.“ Wer von Karl Köttlerl durch das Vorwärts-Stadion geführt wird, kann sich glücklich schätzen. Kein anderer hat so viel Vereinswesen in sich wie er, kein anderer war so lange hautnah bei großen Sternstunden und bitteren Niederlagen des Vereins dabei. Kötterl ist aber nicht nur beim Verein, sondern in ganz Steyr eine Persönlichkeit, denn er war Betriebsrat der Steyr Mannlicher Waffenfabrik. „Das hatte ich meiner Rhetorik zu verdanken“, lächelt er. Die er im Übrigen bis heute nicht verloren hat. Wie auch nicht seine Leidenschaft für die Vorwärts.
Oft hört man von Vereinslegenden, die im hohen Alter noch beim Verein aktiv sind. Aber Kötterl ist keiner, der mitgeschleppt wird. Kötterl sieht man sein Alter nicht an und es wundert kaum, dass er bis heute bei allen Spielen des Klubs dabei ist. „Die Arbeit hält jung“, erklärt er. Zusammen mit Philipp Mayrpeter, seinem Kollegen, der sein Enkerl sein könnte, läuft er bei jeder Partie der Vorwärts verletzten Spielern am Feld zur Hilfe. „Es gibt eine Bedingung: Ich muss mit Philipp läuferisch mithalten können“, sagt Kötterl. „Ich lauf extra langsamer“, schmunzelt Mayrpeter, der neben ihm in seinem Behandlungszimmer in den Katakomben des Stadions Platz genommen hat.
„Ich bin zum Verein gekommen, weil hier drei Freunde gespielt haben“, erinnert Kötterl sich zurück. Zuerst wäre er Chauffeur gewesen, doch dann wurde ein Masseur gebraucht. Sein Onkel ging im Krankenhaus diesem Beruf nach. „Er war blind, aber eine Koryphäe auf dem Gebiet, er hat mir einige Griffe gezeigt.“ Später macht er die Ausbildung zum Sport- und Heilmasseur und bildete sich stetig weiter und kommt Ende der 70er sogar beim Nationalteam zum Einsatz. Und ist bald auch bei Weltstars beliebt. „Ich kann mich noch erinnern, als Oleg Blochin zur Vorwärts wechselte. Das war eine große Sache, alle wollten ihn sehen und Autogramme haben. Es war spät am Abend und er wollte nur einen Masseur, also wurde ich mitten in der Nacht zu ihm bestellt. Ich habe ihn massiert, wir haben geplaudert und gegessen. Und es entwickelte sich eine Freundschaft.“ Kötterl wird zur Bezugsperson von Blochin, sogar Weihnachten feiert der Ukrainer bei dessen Familie. Ob Peter Stöger oder Vereinslegende Daniel Madlener – alle genossen die Behandlungen und Expertise des für viele als „Vorwärts-Hexer“ bekannten Masseurs.
Dass die Stögers und Madleners im Jahr des 100-jährigen Jubiläums des Vereins den Weg nach Steyr fanden, das liegt auch daran, dass sie sich freuen, Menschen wie Karl Kötterl wiederzusehen. Aber treibende Kraft im Jubiläumsjahr ist nicht zuletzt Günter Stöffelbauer. Er ist einer von vier Stöffelbauers, die in der 100-jährigen Geschichte der Vorwärts das rot-weiße Dress trugen. Und betreibt mittlerweile die Eventagentur High Jump in Steyr. „Ich bin vor eineinhalb Jahren auf den Präsidenten des Vereins zugegangen und habe gesagt: Vorwärts wird 100, ich habe hier ein paar Jahre Bundesliga gespielt, mache das beruflich und möchte helfen, eine Jubiläumsgala zu veranstalten.“ Gesagt, getan. Im Stadtsaal in der Volksstraße, direkt gegenüber des Vorwärts-Stadions, fanden sich Legenden, Freunde und Fans des Vereins ein. Und auch die Jahrhundertelf wurde gekürt. „Die Idee war, dass wir uns an einem Abend alle gemeinsam daran zurückerinnern, was es bedeutet hat, bei diesem Verein zu spielen“, sagt er. Und ergänzt: „Wir sind in einem Alter, wo wir schon gerne nostalgisch sind. Und es war schon die Idee, dass der eine oder andere vielleicht sogar eine Träne verdrückt, wenn er an vergangene glorreiche Zeiten denkt.“
Auch er selbst denkt sehr gerne an seine Zeit in Steyr zurück. Nach acht Jahren bei VOEST Linz wechselte er in der Saison 1988/89 zum Verein und schaffte mit dem Klub den Aufstieg in die Bundesliga. Am liebsten erinnert er sich an die Zeit unter Otto Baric zurück, der nach drei Meistertiteln mit Rapid auf der Vorwärts-Betreuerbank Platz nahm. „Zu dieser Zeit war der größte Hype hier im Stadion, wir haben auch richtig gute Spiele gezeigt. Jedes Spiel kamen bis zu 8.000 Zuschauer“, weiß er noch. Und auch die Spielweise hat er nicht vergessen. „Wir sind hinten sehr kompakt gestanden mit einem Bollwerk mit Libero und zwei Manndeckern. Wir haben hier selten verloren.“ Er steht am Rasen des Vorwärts-Stadions und blickt nostalgisch aufs Spielfeld. „Ich kann mich noch an viele Szenen genau erinnern“, sagt er. Und dann erklärt er, was für ihn die Besonderheit des Klubs ausmachte: „Die Nähe zum Publikum und zur Stadt war etwas sehr Spezielles. Wir sind nach dem Spiel von hier zu Fuß ins Zentrum gegangen und haben mit den Fans gefeiert.“
Mit Fans wie Reinhard Schlager. In der Kindheit packte ihn als Nachbar des ehemaligen Vorwärts-Spielers und -Trainers Rudi Stadlbauer die Begeisterung für Vorwärts, jetzt, als erfolgreicher Geschäftsmann, ist er jener Präsident, der dem Klub im 100. Bestandsjahr vorstehen darf. „Es war mein Ziel, dass wir zu unserem 100. Geburtstag Teil der Bundesliga sind. Und es macht mich sehr stolz, dass wir es geschafft haben.“
Das Präsidentenamt ist für ihn überhaupt eine sehr ehrenvolle Aufgabe. „Vorwärts gehört zur Stadt Steyr. Auch viele Spieler kommen aufgrund des Stadions, unserer Fans und unseres Umfelds gerne zu uns. Wir sind noch immer ein Anziehungspunkt, auch wenn es sportlich im Vorjahr nicht immer nach Wunsch lief.“ Was auch mit den finanziellen Bedingungen zusammenhängt. „Es ist schwierig, große Sponsoren zu finden. Aber eine Art Hauptsponsor bräuchten wir, um uns weiterzuentwickeln.“ Denn das Ziel ist klar: „Wir wollen eine fixe Größe in der 2. Liga werden, aber an mehr müssen wir aktuell nicht denken.“ Aber das muss auch gar nicht sein.
Vorwärts Steyr ist nicht durch Meistertitel oder Cupsiege groß geworden, sondern dank Menschen wie Karl Kötterl, Günter Stöffelbauer oder Reinhard Schlager. Wegbegleitern eines Vereins, der sich stets über Zusammenhalt und Leidenschaft definierte. Und so unzählige Fans und Unterstützer in den Bann zog. Und zieht. Bereits seit hundert Jahren. Vorwärts Steyr – ein echter Traditionsverein eben.
Von Peter K. Wagner
Dieser Artikel ist im offiziellen Journal der 2. Liga erschienen – erhältlich bei allen Klubs der 2. Liga.