21. Juli 2022

Vienna-Historiker Juraske: Man muss die Geschichte pflegen
Nach acht Jahren ist die Vienna zurück in der zweithöchsten Spielklasse. Im Interview mit 2liga.at spricht der ehrenamtliche Vereinshistoriker Alexander Juraske über die Vienna-DNA, den Charme von Auswärtsfahrten mit der Straßenbahn und das neue Museum der Döblinger.
Interview: Mathias Slezak / Fotos: GEPA pictures
Wir sitzen hier im Stadion Hohe Warte. Wie wichtig ist dieser Ort für die Vienna?
Die Vienna ist sehr stark mit der Hohen Warte verbunden, mit der Naturarena, aber auch mit dem Ort Hohe Warte – hier auf dem Hügel haben sich alle vier Spielorte der Vienna befunden. Die Hohe Warte ist auch an Tagen, an denen nicht gespielt wird, ein Bezugsort, zu dem die Leute kommen und wo sie spazieren gehen. Die Vienna ist ein klassischer Grätzelverein und mit dem Sportclub und dem FAC neben Austria und Rapid noch einer der wenigen Wiener Vereine aus der guten alten Zeit, die heute noch in einer gehobenen Liga übriggeblieben sind.
Damals haben sich die unterschiedlichen Identitäten der Wiener Klubs herausgebildet. Rapidler galten als Kämpfer, Austrianer als Ballartisten – gab es sowas wie typische Vienna-Tugenden?
Es war die starke Verteidigung, die die Vienna ausgemacht gemacht. Sie hatte immer starke Verteidiger – wie einen Pepi Blum oder einen Karl Rainer. In Kombination mit starken Torleuten bildete das die DNA der Vienna. Die Vienna war damals ein Verein von alteingesessenen Geschäftsleuten, die auch nicht so ins Risiko gegangen sind, vielleicht hat sich das in der Mannschaft reflektiert. Wenn dann aber noch gute Stürmer wie ein Fritz Gschweidl oder später ein Karl Decker dabei waren, dann hat die Mannschaft wirklich gut funktioniert.
Wann hat das historische Bewusstsein der Vienna begonnen?
Das Bedürfnis, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen war lange Zeit bei den Fans stärker ausgeprägt als beim Verein selbst, vielleicht hat es dafür aber auch einfach keine Kapazitäten gegeben. Die Vereinsgeschichte wurde zwar punktuell zu gewissen Jubiläen immer wieder herausgezogen – das ist aber meistens eher lieblos geschehen. Ich habe 2011 begonnen, mich mit der Geschichte des Vereins zu beschäftigen und zunächst Artikel im ballesterer publiziert. Da kam viel Zuspruch aus der Fanszene, der die Klubhistorie wichtig war. Mit dem heutigen Geschäftsführer Thomas Loy, der selbst Vienna-Fan ist, und mit der Unterstützung der UNIQA ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Verein wichtiger geworden. Der Zuspruch von Fanseite war mir immer wichtig.

Vienna-Historiker Alexander Juraske auf der Hohen Warte
Wie sieht dieses neue Bewusstsein im Vereinsalltag aus?
Wir haben früher beispielsweise jahrelang beobachtet, wie toll der Sportclub in Dornbach internationale Freundschaftsspiele veranstaltet. Als Fans haben wir den Zuständigen oft gesagt: „Wir haben eine große Tradition mit internationalen Freundschaftsspielen. Wieso setzen wir das nicht auch auf der Hohen Warte um?“ 2019 hat die Vienna mit der UNIQA dann Union Berlin zum Jubiläumsspiel geholt. Im vergangenen November hatten die Vienna Glentoran FC aus Belfast zu Gast; das hat den historischen „Vienna-Cup“ an seinen Ursprung zurückgebracht. Wir sind Teil des „Club of Pioneers“, einem Zusammenschluss der jeweils ältesten Vereine ihres Landes. Vor einem Jahr haben wir schließlich unser eigenes kleines Museum eröffnet. Vereine suchen immer Alleinstellungsmerkmale und bei uns ist es die Historie. Wir sind nun mal der älteste Fußball-Verein des Landes und die Mitglieder haben wichtige Aufbauarbeit geleistet. Das muss man pflegen, denn wenn man um seine Vergangenheit nicht weiß, dann steht man weder mit beiden Beinen in der Gegenwart noch wird man in der Zukunft erfolgreich sein.
Was erwartet die Besucher im Vienna-Museum?
Wir haben 50 Ereignisse der Vereinshistorie als Meilensteine definiert und präsentieren diese anhand eines Zahlenstrahls an den Wänden im VIP-Club. Darüber hinaus haben wir „Yellow-Blue-Legends“ bestimmt, also Personen wie etwa unsere Rekordtorschützin Sophie Neid, die eine wichtige Rolle im Verein gespielt haben. Dazu gibt es noch zwei Wände für Spezialthemen, aktuell zur Geschichte des Stadions Hohe Warte heute Naturarena Hohe Warte und zu unserer Fankultur. Sammlerstücke und eine Reproduktion des Mitropapokals, den die Vienna 1931 gewann, runden das Ganze noch ab. Ich verbinde die monatlichen Führungen im Museum natürlich auch mit einem Gang durch das Stadion. Auch führe ich mitunter „HoWa Spaziergänge“ durch. Da starten wir auf der Spitze der Hohen Warte, wo bei den historischen Rothschild-Gärten alles für die Vienna begann. Zuweilen beginne ich mit Führungen im Karl-Marx-Hof, weil die Vienna natürlich eng mit dem Stadtteil Heiligenstadt verbunden ist. Dieses Einbeziehen der Umgebung über das Stadion hinaus schafft neue Verbindungen und Sichtweisen. Diese Perspektiven über das Stadion hinaus sind mir sehr wichtig.

Trainer Alexander Zellhofer, Sportdirektor Markus Katzer und Vienna-Legende Alfred Tatar im Museum
Wie ist das Selbstverständnis Vienna heute?
Wichtig ist, dass man demütig bleibt. Seit dem letzten Aufstieg 2009 waren die Zeiten relativ schwer für die Vienna. Bis zum Abstieg 2014 hatte sich der Verein immer nur oben gehalten, weil andere noch schlechter wirtschafteten. Dann ist der Verein wirtschaftlich weiter gestolpert, bis die Vienna 2017 wirtschaftlich faktisch am Ende war und der Konkurs bevorstand. Dann wurden wir in letzter Minute von unserem Hauptsponsor gerettet. Deshalb ist solides Wirtschaften einfach das A und O. Zu oft waren in der Vergangenheit Funktionäre am Ruder, die nur die glorreichen Zeiten vor Augen hatten und vorgeblich versprachen, sie würden die Vienna wieder dorthin führen. Der jetzige Vienna-Präsident Kurt Svoboda sagte bereits bei seiner ersten Vienna-Generalversammlung, er könne uns nicht viel versprechen, aber er könne uns zusagen, dass ordentlich gewirtschaftet würde. Das war der wichtigste Punkt.
Die vergangenen Jahre waren von außen betrachtet von einer gewissen Diskrepanz geprägt: einerseits war man sportlich so weit unten wie nie zuvor, andererseits war eine Aufbruchsstimmung zu erkennen. Wie passt das zusammen?
2017 war sicherlich eine der existenzgefährdendsten Situationen, die die Vienna je erlebt hat. Als das Gerichtsverfahren verlorenging und der Verein in die 5. Liga versetzt wurde, hatte ich das Gefühl: andere Vereine würde es jetzt zerreißen. Bei der Vienna ist man jedoch total ruhig geblieben, das hat mich positiv erstaunt. Man erkannte, dass man jetzt alles in Ruhe aufbauen können würde. So ist dieser Abstieg eigentlich auch als Chance erachtet worden. Viele unserer jungen Fans haben dann erst die verschiedenen Fußballplätze in Wien kennengelernt. Uns hat das viel Spaß gemacht, in der Straßenbahnliga zu sein. Die Vereine haben sich gefreut, wenn gegen die Vienna gespielt wurde, wir haben gute Kassa dort hinterlassen. Es war einfach spannend, dass es als Chance begriffen wurde, den Verein von Grund auf wieder aufzubauen. Wir haben heute ein gutes Gesprächsklima zum Verband und zur Stadt Wien – alles Dinge, wo der Klub früher vielleicht Fehler gemacht hat. Sportlich traf man ebenfalls die richtigen Entscheidungen, das eine oder andere Quäntchen Glück zum richtigen Zeitpunkt war auch dabei, und so konnte die Ernte eingefahren werden. Aber jetzt geht es weiter, eigentlich beginnt es jetzt von neuem.
In der kommenden Saison spielen acht Klubs aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland in der ADMIRAL 2. Liga. Hat das einen besonderen Reiz?
Natürlich. Ich kann mich noch erinnern, dass beim letzten Aufstieg 2009 vier Vorarlberger in der 2. Liga waren. Das war schon hart, jetzt ist das super. Wir freuen uns auf die Derbys oder die Spiele gegen die Admira, wo man mit der Badner Bahn hinfahren kann. Natürlich werden auch die Klubs, die nicht aus dem Osten sind, viele Fans auf die Hohe Warte mitbringen. Viele Leute aus den Bundesländern wohnen in Wien und da hoffen wir, dass sie zu den Spielen gegen Steyr, Blau-Weiß etc. kommen und ihre Vereine unterstützen. Als Vienna-Fan ist es angenehm, weil man eigentlich überall gut aufgenommen wird und umgekehrt wollen wir natürlich auch gute Gastgeber sein.
Die gut gefüllte Arena-Seite beim vorerst letzten Meisterschafts-Derby der Vienna gegen den Sportclub
Was macht heute einen Besuch bei der Vienna einzigartig?
Bei der Vienna ist das Einzigartige sicherlich die Bewegungsfreiheit im Stadion selbst. Man kann sich eine Halbzeit auf der Arena-Seite anschauen und sich ins Gras setzen und die andere Spielhälfte auf der Tribüne verfolgen. Das ist ein wichtiger Punkt, der bei Familien zieht. Ich habe Freunde, die Rapidler und Austrianer sind, aber mit ihren Kindern zu uns kommen. Man kann sich hier bewegen, die Kinder herumrennen und im Gras spielen lassen – die Stimmung ist angenehm. Das ist ein großes Plus, das wir mit unserer Naturarena haben: du bist in der Stadt, aber gleichzeitig draußen.
Das Vienna Museum ist jeden 1. Mittwoch im Monat von 17 bis 19 Uhr geöffnet. Über die Website können aber auch weitere Termine angefragt werden. Auch Führungen für Gruppen und Schülergruppen sind möglich. Mehr Infos: https://www.firstviennafc.at/historyclub.html