29. Aug. 2018

Erstmals Lokalrivalen
Steyr und Amstetten verbindet die Bundesstraße 122, genau 43 Kilometer und acht Kreisverkehre liegen zwischen den beiden Stadtzentren. Mit der kommenden Saison wird auch der Fußball die beiden Städte verbinden: Sowohl der SK Vorwärts Steyr als auch der SKU Ertl-Glas Amstetten sind in die zweite Liga aufgestiegen. Während Steyr nach fast 25 Jahren wieder in den Profifußball zurückkehrt, ist es für die Mostviertler der größte Erfolg der Vereinsgeschichte.
Die Gegensätze zwischen den Klubs halten sich dennoch in Grenzen. Mittlerweile überwiegen da wie dort behutsames Wirtschaften und eine starke regionale Verankerung, trotzdem ist das Drumherum ein ganz anderes. Auch die beiden Städte sind nicht ganz vergleichbar: Steyr ist fast doppelt so groß wie Amstetten und hat, noch viel mehr als die Mostviertler Stadtgemeinde, eine Tradition als Industriestadt, die einst ganz Österreich ein Begriff war. Dass sich beide Vereine jetzt in der selben Liga finden, sagt nicht nur über sportliche, sondern auch über gesellschaftliche Entwicklungen in Österreich etwas aus.
Der Wandel der Zeit
„Jetzt ist die Vorwärts wieder in aller Munde“, sagt Vereinspräsident Reinhard Schlager im Gespräch. Die Euphorie in der Stadt ist riesengroß. Seien es Sponsoren, die von alleine auf den Klub zukommen, oder die Leute selbst, die den Saisonstart gar nicht mehr erwarten kommen, alle reden über den Fußballklub. „Es hat ja lange genug gedauert, bis es wieder so weit war“, sagt Schlager.
„Im Jänner 2000 wurde dem langjährigen Bundesligisten, bei dem einst Oleg Blochin kickte und Otto Baric Trainer war, die Lizenz entzogen. 36 Millionen Schilling Schulden hatte die Vorwärts da. Man hatte sich in den 1990er-Jahren schlicht und ergreifend finanziell übernommen. Es dauerte über eineinhalb Jahre bis ein Neustart gelang und der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden konnte: in der untersten Spielklasse, der oberösterreichischen 2. Klasse Ost. „Der Konkurs ist in der kollektiven Erinnerung noch immer sehr präsent“, sagt Schlager, der seit 2016 dieses Amt inne hat.
Als die Vorwärts den Spielbetrieb einstellen musste, stellte man sich in Amstetten gerade neu auf. 1997 fusionierten die beiden lokalen Vereine, der ASK und die Union, zum SKU und wollten gemeinsam das fußballerische Unterhaus überwinden (siehe auch Geschichte auf Seite 55). Nach kontinuierlichem Streben nach oben spielen jetzt auch die Amstettner in der zweithöchsten Spielklasse. Der Aufstieg war die Krönung nach sechs konstanten Saisonen in der Regionalliga, in denen die Mostviertler immer im oberen Mittelfeld mitspielten „Wir sind unglaublich stolz, mit Vorwärts Steyr und Blau Weiß Linz in einer Liga spielen zu dürfen“, sagt Gernot Aichinger, Gründungsmitglied und Pressesprecher des SKU. „Alleine das ist ein Riesenerfolg.“
Industrie im Mostviertel
Einen der Gründe für diesen Erfolg, findet man zehn Minuten vom Stadion der Amstettner entfernt. Die großen, lokalen Unternehmen sind fast alle hier angesiedelt, manchmal trennen sie noch ein paar Äcker von früher. Auch der Hauptsponsor des SKU ist hier zu Hause. Knapp 45 Millionen Euro erwirtschaftet Ertl-Glas jährlich, 260 Menschen sind angestellt. „Sie haben uns vor der Fusion schon unterstützt“, sagt Aichinger. „Ohne dieses Sponsoring wäre unser Aufstieg sicher nicht möglich gewesen.“ Die Firma steht mittlerweile sowohl im Namen des Stadions der Amstettner, als auch im Vereinsnamen. Auch der größte Arbeitgeber Amstettens, ein holz- und metallverarbeitendes Unternehmen unterstützt den SKU faktisch seit der Gründung. Die beiden Firmen alleine aber könnten den Spielbetrieb nicht stemmen, das zeigt schon ein Blick ins Ertl-Glas-Stadion. Hinter einem der beiden Tore ist dort eine riesige Tafel angebracht, auf der eine Vielzahl an Sponsoren abgebildet sind. „Wir haben insgesamt fast 100 Unterstützer“, sagt Aichinger. „Da geht es oft nur um kleinere Summen, aber diese Breite ist uns wichtig.“
Ohnehin gibt das Stadion der Amstettner einen Einblick in die Vereinsseele. In den letzten 20 Jahren ist dort aus einem kleinen Sportplatz ein Stadion mit einem Fassungsvermögen von rund 3.000 Zusehern entstanden. „Heute ist dort kaum noch etwas so, wie es einmal war“, sagt Gründungsmitglied Aichinger. „Mittlerweile gelangt man ja direkt vom Vereinsheim hinüber auf unseren Businessclub und von dort auf die Haupttribüne.“ Während sich im Stadion viel getan hat, ist das Rundherum des alten Unionplatzes noch sehr ähnlich. Die Stocksportsektion des Vereins findet sich dort ebenso, wie eine Feldhockey-Arena und fünf Tennisplätze. Ein bisschen weiter findet man den „Kleintier-Rassezüchterverein.“ Ansonsten ist das Ambiente hier geprägt vom Stadtrand, an dem sich das Stadion befindet. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Stadion befinden sich ein Kulturhaus, ein Supermarkt und ein Würstelstand. Dort kann man ohne Probleme eine „Bosna“ bestellen. Amstetten ist Oberösterreich näher als der Bundeshauptstadt.
Eine Geschichte aus zwei Städten
Auch in Steyr gibt ein Spaziergang rund um das Stadion Aufschluss über den Verein. Hier finden sich, anders als in Amstetten, keine anderen Sportplätze. Seit dem umfassenden Ausbau der Tribünen 1986 hat sich nichts Substanzielles verändert. Das Stadion ist wie viele alte Fußballplätze mitten in der Wohngegend, mehr Platz als jener der für das Stadion notwendig ist, gäbe es einfach nicht. Keine zehn Minuten zu Fuß dauert es bis ins Stadtzentrum: Man geht hinunter Richtung Steyr-Fluss, vorbei an der Stadtpfarrkirche Steyr, die über der gesamten Altstadt thront. Dort, inmitten der engen Gässchen, breitet sich dann der weitläufige Steyrer Hauptplatz mit seinem Rokokorathaus aus, das den Platz aus der Mitte überragt. Herrschaftliche Gebäude und neue, wie alte Geschäfte reihen sich am Hauptplatz aneinander. Geht man aber noch ein bisschen weiter, steht man direkt am Fluss. Es bietet sich ein herrliches Panorama, aber es zeigt sich die andere Seite der Stadt.
Die Schornsteine alter Fabriken entlang der Steyr prägen das Stadtbild, sie sind ebensowenig daraus wegzudenken wie die großen Werkshallen im Stadtteil Ennsleiten. Zwei deutsche Automobilkonzerne haben ihre Werke hier, fast 7.000 Menschen sind an den beiden Standorten beschäftigt. Diesem Gesicht der Stadt widmet sich auch das Museum Arbeitswelt Steyr, das in Fabrikshallen entlang des Flusses und unweit des Zentrums die wirtschaftliche und soziale Geschichte der Stadt aufarbeitet. „Steyr ist eine Industriestadt“, sagt Präsident Schlager. Daraus aber konnte der Verein zuletzt kein Kapitel mehr schlagen. Die große Industrie hat das Interesse am Fußball verloren. „Die zahlen für Kulturevents in der Stadt, für uns aber nichts“, sagt Präsident Schlager. „Ich kann das auch nachvollziehen. Die können nicht jeden Verein in Steyr mitfinanzieren.“
Das aber war einmal anders. Bevor sich die deutschen Unternehmen ansiedelten, gab es dort Steyr-Daimler-Puch. Das Werk produzierte Motor-räder, LKWs und Waffen, noch Anfang der 1980er-Jahre arbeiteten dort 17.000 Menschen und es war der drittgrößte Industriebetrieb Österreich. „Damals waren die Unternehmenssitze der großen Konzerne direkt in Steyr und wir konnten einfach hingehen“, sagte Vorstandsmitglied Willibald Hauser dem Kurier. „Heute sind sie nicht mehr in Österreich.“ Das Unternehmen unterstützte die Vorwärts, geriet jedoch zunehmend in finanzielle Bedrängnis. Die Belegschaft wurde stark reduziert, immer mehr Produktionssparten verkauft. Heute gibt es Steyr-Daimler-Puch in dieser Form gar nicht mehr.
Unruhe und Frieden
So setzen die Steyrer auf viele kleinere Unternehmen, die den Verein unterstützen. Eine örtliche Bank zahlt ebenso wie eine lokale Fitnesscenter-Kette. „Als ich eingestiegen bin, haben wir damit begonnen, den Verein wie eine Firma zu führen“, sagt Schlager. „Seither steht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund.“ Denn auch nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs lief bei der Vorwärts längst nicht alles glatt. Zwar kämpfte sich der Klub kontinuierlich nach oben, in der Regionalliga wurde die Luft dann aber dünner. Nach dem ersten Aufstieg in die dritthöchste Spielklasse folgte der sofortige Wiederabstieg, Erst nach dem folgenden Aufstieg konnten sich die Steyrer in der Regionalliga etablieren, doch auch das mit massiven Schwankungen. Nach dem Vizemeistertitel 2014/15 folgte in der Saison danach Platz 12, Nach zwölf Jahren legte Präsident und Hauptsponsor Jörg Rigger sein Amt 2015 zurück. „Wir waren von einem Geldgeber abhängig“, sagt Schlager heute. „Es hat lange gedauert, bis wir uns auf breitere Beine gestellt haben.“
In Amstetten geht es etwas beschaulicher zu. Nicht nur verlief der sportliche Aufstieg ohne gröbere Zwischenfälle und der Stadionausbau kleinweise, Amstetten ist schlicht auch kleiner als Steyr. Während die drittgrößte Stadt Oberösterreichs knapp 40.000 Einwohner zählt, sind es in Amstetten nicht ganz 25.000. Die Fußgängerzone in der Innenstadt ist nicht mit jener in der Nachbarstadt zu vergleichen. Der Strukturwandel, der in Steyr zum Ende von Steyr-Daimler-Puch geführt hat, hatte in Amstetten nicht derart dramatische Auswirkungen. Trotzdem hat sich im Mostviertel einiges getan: Das Zentrum wurde in den letzten zwanzig Jahren umfassend umgebaut. Wo einst die Bundesstraßen den Stadtkern ausmachten, sind es heute einige kleine Kaffees und Geschäfte. „Amstetten hat sich gemausert“, sagt Gernot Aichinger.
Erstmals Derby
Nun also spielen Amstetten und Steyr in derselben Liga, erstmals in der Geschichte der Klubs. Denn auch wenn bisher beide Teams in der Regionalliga spielten, war dies aufgrund der Bundesländergrenze zwischen den Städten nicht der Fall: Die Vorwärts spielte in der Regionalliga Mitte, Amstetten in jener des Ostens. Trotzdem kennt man sich. „Wir haben beide viele Kicker aus Seilstätten und St. Peter, zwei Gemeinden zwischen Amstetten und Steyr. Der Bezug zueinander ist sehr groß.“ sagt der Steyrer Schlager. „Viele Leute kennen sich einfach.“ Auch Spielerwechsel zwischen den beiden Teams waren in der Vergangenheit keine Seltenheit. „Früher hat die Vorwärts manchmal unsere besten Kicker geholt“, erinnert sich der Amstettner Aichinger. „Später war es dann einmal umgekehrt, jetzt hält sich das die Waage.“
Die Rolle, die Steyr einst einnahm, sorgt dabei für eine besondere Brisanz des Duells. „In der Region wollen immer alle Vereine die Vorwärts übertrumpfen“, sagt Vorwärts-Trainer Gerald Scheiblehner„Ich rechne mit vollen Stadien und zwei hochmotivierten Mannschaften.“ Der Grund für diese Motivation liegt in der Ausstrahlung, die Vorwärts Steyr einst in der ganzen Region besaß. Als einziger Klub in der Gegend spielte das Team auf nationaler Ebene später sogar in der Bundesliga. „Viele Amstettner sind nach Steyr zum Fußballschauen gefahren“, sagt Aichinger. „Jetzt müssen sie das nicht mehr tun.“ Auch für den Präsident der Steyrer hat das Duell eine besondere Bedeutung. „Für mich ist es auf alle Fälle ein Derby“, sagt Schlager. „Ich stelle das auf eine Stufe mit den Spielen gegen Blau-Weiß Linz.“
Das Duell zwischen dem SKU und der Vorwärts ist damit mehr als eines zweier Fußballvereine. Sowohl die Klubs selbst, als auch die Städte, in denen sie beheimatet sind, haben sich in den letzten 20 Jahren verändert. Die Steyrer haben sich nach dem vorläufigen Aus wieder nach oben gekämpft, die Mostviertler sind erstmals dort angekommen.
Dabei haben sich bei beiden Vereinen umsichtiges Wirtschaften und ein breitgefächertes Sponsorenportfolio als zukunftsfähig erwiesen. „Solange wir keinen Großsponsor zusätzlich auftreiben können, sind wir in der zweiten Liga sehr gut aufgehoben“, sagt Vorwärtspräsident Reinhard Schlager. „Dann können wir gar nicht weiter rauf.“
Nicht nur Steyr und Amstetten, auch die Mentalität im österreichischen Fußball hat sich geändert.
Von Moritz Ablinger
Dieser Artikel ist im offiziellen Journal der 2. Liga erschienen – erhältlich bei allen Klubs der 2. Liga.