26. Juli 2019
Das Erwachen der Tschutter Hochburgen
Wenn sich Stephan Muxel über seine Tschutter (Vorarlbergerisch für Fußballer) ärgert, läutet er schon mal während des Spiels die Glocke der Kapelle, die im Planet Pure Stadion steht. Sein gutes Recht. Immerhin ist er bei Austria Lustenau Vorstandsmitglied und hat das kleine Holzkircherl 2007 höchstpersönlich aufgestellt. Frei nach dem Motto: Real Madrid hat eine Kapelle, warum nicht auch Lustenau? Ein Glockenläuten als Weckruf, der auch symbolisch für ganz Fußball-Vorarlberg steht.
Denn es herrscht Aufbruchstimmung. Nicht nur, weil sich mit Altach erstmals ein Klub aus dem kleinsten Bundesland über mehrere Jahre in der Bundesliga etabliert hat. Auch in Lustenau hat man große Pläne: Mit einem neuen Stadion und neuer Führungscrew soll der Bundesliga-Aufstieg in den nächsten Jahren endlich gelingen. Dank Aufsteiger Dornbirn gibt es wieder Ländle-Derbys in der 2. Liga (das erste gleich in Runde 1). Und auch der FC Lustenau hat sich bereits wieder in die Vorarlbergliga nach oben gekämpft.
Gerade einmal 6,6 Kilometer trennen die Heimstätte des FC Dornbirn von der der Lustenauer Austria. Was man als Außenstehender aber als erstes lernt: Vorarlberg ist nicht gleich Vorarlberg. Trotz der kurzen Distanzen gibt es große Unterschiede in Mentalität und Sprache. Und das zeigt sich auch beim „Tschutta“ (Vorarlbergerisch für Fußballspielen) mehr als sonstwo. Alleine die Frage, welcher Ort denn nun Vorarlbergs Fußballhochburg ist, entzweit Stammtische. Aktuell ist es sportlich natürlich Altach. Austria Lustenau gilt allerdings als der Klub mit dem größten Fanpotenzial. Der älteste Verein ist aber der FC Lustenau (gegründet 1907). Der Hauptstadtverein heißt Schwarz-Weiß-Bregenz. Ebenso viel Tradition hat der FC Dornbirn, der wiederum in Vorarlbergs einwohnerreichsten Stadt liegt, in der es gleich fünf eingetragene Fußballvereine gibt (Hobbyklubs und die vielen anderen Sportvereine noch gar nicht mitgezählt!). Eine höchst heterogene und bunte Fußballlandschaft – was mit Vorarlbergs Fußballverrücktheit zu tun hat.
Auch wenn nur ein paar Kreisverkehre zwischen Dornbirn und Lustenau liegen und man jetzt sogar in der gleichen Liga spielt, bei der Zielsetzung trennen die beiden Klubs Welten. Während der FC Dornbirn den Klassenerhalt zum Ziel hat und als reiner Amateurverein in der 2. Liga bestehen will, ist Austria Lustenau seit 25 Jahren Profiklub und durch das Erstarken des Rivalen aus Altach bis in die Haarspitzen motiviert, langfristig wieder die Fußballhochburg im Ländle zu werden.
Dafür soll in den nächsten Saisonen nun endlich der Aufstieg gelingen. Der wurde zuvor schon so oft als Ziel verpasst, dass die Zuschauerzahlen sukzessive sanken. Nun will man etwas von der alten Euphorie wieder wecken, die einst dafür sorgte, dass im Schnitt 10.000 Menschen im Reichshofstadion Volksfeste feierten. Ende der 90er, als die Spieler im Austria-Dorf bis spät in die Nacht wie Popstars gefeiert wurden. Die Zeit, in der auch Muxels Liebe zur Austria entfacht wurde, obwohl er eigentlich aus Au im Bregenzerwald ist. „Wir sind zu jedem Spiel in Scharen mit dem Taxibus gekommen.“.Da kams dann auch zum ersten Vorarlberg-Derby in der Bundesliga gegen Schwarz-Weiß-Bregenz, zu dem 14.000 ins Reichshofstadion strömten (die Polizei zählte sogar 15.000). Bis heute Zuschauerrekord. Auch wenn man sich auf die Duelle mit Dornbirn, Ried oder den GAK besonders freut – es kann hier keiner verheimlichen, dass das Ziel langfristig ist, Altach den Nummer-1-Status streitig zu machen.
Und tatsächlich herrscht bei Austria Lustenau wieder Aufbruchstimmung. Dabei war der Abschied des Mister-Austria Hubert Nagel Anfang des Jahres als Präsident ein Schock, den in dieser Form keiner kommen sah. Luschnou ohne Nagel – wie London ohne Big Ben oder Wien ohne Stephansdom. Die Zukunft des Profiklubs stand auf dem Spiel und zwang ein Fünfergespann in die erste Reihe: Bernd Bösch, Sepp Bayer, Christoph Wirnsperger, Valentin Drexel und eben Stephan Muxel. Vielleicht ein reinigendes Gewitter, das den Klub aus dem Dornröschenschlaf weckt. Denn es wird die Lustenauer nicht nur mit Stolz erfüllen, dass man in der ewigen Zweitligatabelle hinter DSV Leoben auf Platz 2 liegt – mit 1.196 Punkten, erobert in 2 Jahren und 756 Spielen Zweitklassigkeit. Zwar stellt Bösch, auf die Aufstiegsambitionen angesprochen, fest: „Ried ist Favorit“, doch mittelfristig ist die Konkurrenz in der 2. Liga, die nun zu zwei Dritteln aus Amateurteams besteht, überschaubarer geworden.
Zudem hat der seit Sommer 2018 eingesetzte Sportdirektor Christian Werner einen schlagkräftigen Kader zusammengestellt. „Man spürt, die Leute glauben wieder, dass der Aufstieg möglich ist“, sagt Bösch. Daher soll auch Ronivaldo möglichst gehalten werden, der schon letzte Saison mit 26 Toren die HPYBET 2. Liga prägte wie kein anderer. Zudem hat der Klub große Pläne. Die Finanzierung des neuen Stadions um 17,5 Millionen Euro ist gesichert. Eine moderne Fußballarena für 5.000 bis 7.000 Zuschauer wird bereits im Detail geplant und sollte bei ununterbrochenem Spielbetrieb spätestens 2023 fertig gestellt sein. Dabei will man zum nachhaltigsten Verein Österreichs werden, vom Baumaterial bis zum Abfallentsorgungskonzept.
Auch sportlich geht man neue Wege. Die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Ahmet Schäfer bringt Geld für neue Spieler (er investiert 15 Prozent des Gesamtbudgets) und eine Kooperation mit dem französischen Zweitligisten Clermont Foot 63 sowie (noch in Planung) mit einem dänischen Zweitligisten. Das soll Austria Lustenau als mögliches Sprungbrett für Spieler attraktiver machen und die eine oder andere Verstärkung von den Kooperationsvereinen bringen. Und auch Hubert Nagel will man zumindest als Ehrenpräsident wieder enger an die Austria-Familie binden. Auch wenn er im Frühjahr kein Spiel besuchte, so richtig weg war er nie. Schaut er mit dem Radl doch immer noch im Austria-Dorf vorbei und philosophiert in der Stammkneipe der Fan-Urgesteine im „Blank Stübli“ über seine Austria.
Weitaus kleinere Brötchen bäckt man beim FC Dornbirn. Immerhin will man sich auf keinen Fall wieder so übernehmen wie 2009/10, als die Saison in der zweiten Liga im Konkurs endete. „Erst diesen März haben wir die letzten Raten für diese Altlasten bezahlt“, berichtet Peter Handle. Der Wiederaufstieg in die 2. Liga kam überhaupt nur in Frage, weil in der neuformierten Liga kein Umbau in einen Profibetrieb mehr notwendig ist. Dafür fehlen die Strukturen im Klub, gibt es mit Handle und Andreas Genser nur zwei Vorstände, packen doch Spieler bei Arbeiten rund ums Stadion schon mal selbst mit an, schenken beispielsweise auf einer eigenen Bar nach dem Match Getränke aus.
Freilich freut man sich in der Region sehr über das Zweitliga-Comeback des Traditionsklubs, der in den 60er Jahren mit Fritz Rafreider sogar einen Teamspieler hervorbrachte, der beispielsweise auswärts vor 100.000 Zuschauern in Moskau die UdSSR mit seinem Siegestor abschoss oder zu Österreichs legendären 3:1-Sieg 1961 gegen England im alten Praterstadion zwei Vorlagen beisteuerte.
„Die Birkenwiese war einst DIE Adresse in Vorarlberg“, erinnert sich Dieter Alge, der in den 80er-Jahren eine Saison für FC Dornbirn und zwei für die Spielgemeinschaft IG Bregenz /Dornbirn die Kickschuhe schnürte. „Die Fans hier sind etwas ganz Besonderes.“
Eine ähnliche alternative Partie wie beispielsweise beim Wiener Sportclub. Den Aufstieg haben die Rothosen ihrem starken Kollektiv zu verdanken – mit Kapitän Aaron Kircher als Leithammel und dem brasilianischen Goalgetter Ygor Carvalho (25 Treffer in 28 Westligaspielen).
Die Birkenwiese versprüht ordentlich Oldschool-Charme: mit großer Laufbahn und der Tribüne mit Holzbänken. Dahinter blitzen aus den Fenstern große, verstaubte Pokale aus einer besseren Zeit. Relativ neu ist das vor 10 Jahren neu gebaute und nun nur leicht adaptierte Flutlicht, und die umliegende Infrastruktur mit Olympiazentrum und den Trainingsplätzen keine schlechte für einen Fußballverein. Auf dem sattgrünen Rasen – eine echte Naturwiese – wuchern noch einige Schwammerln. Noch! Die werden aber spätestens am 27. Juli gerupft sein. Denn dann empfängt man hier in Runde 1 Austria Lustenau zum Derby. Zuvor strömten sogar über 20.000 bei der Gymnaestrada die Birkenwiese. Eine Kulisse, die Erinnerung an goldene alte Zeiten in diesem Fußballstadion weckt.
Von Christoph König
Dieser Artikel ist im offiziellen Journal der 2. Liga erschienen – erhältlich bei allen Klubs der 2. Liga.