Das rote Graz

16. August 2021 in 2. Liga Der GAK gilt als der Grazer Stadtklub. Präsent ist er an vielen Orten der steirischen Landeshauptstadt. Eine Spurensuche mit Legenden und Aktiven, die eines eint: Leidenschaft für einen ganz besonderen Verein.

Wer sich von der Grazer Hauptbrücke aus Richtung Norden begibt, der muss nicht lange an der Mur spazieren, um sich dort wiederzufinden, wo einst die Hauptmühlwiese stand. Unweit des Schloßberges, zwischen Körösistraße und Fluss gelegen, befand sich hier von seiner Gründung im Jahr 1902 bis 2005 für exakt 103 Jahre die Heimstätte des Grazer Athletiksport Klubs – kurz GAK. Später als Casinostadion bekannt, war der Spielort in seinen letzten Jahren eines der letzten Stadien mit Charakter. Ein Ort der österreichischen Fußballkultur, der allerdings der Moderne nicht mehr standhielt und wie so vieles in der florierenden, wachsenden steirischen Landeshauptstadt einem Neubau weichen musste. Heute ist dort, wo rote Legenden entstanden, eine moderne Wohnsiedlung beheimatet und an Fußball erinnert lediglich ein kleines Tor auf einem Kinderspielplatz.

Der Jahrhundertspieler

Ein Mann, der im Casinostadion zur Identifikationsfigur der Rotjacken reifte, hat die Zeiten an der Körösistraße nicht vergessen. Es ist ein frühsommerlicher Freitagvormittag am Sportplatz des Grazer Stadtteilvereins ASV Gösting. Am Tennisplatz spielen zwei Herren ein gemütliches Match und Savo Ekmecic sitzt vor seiner Kantine neben einem Stammgast und genießt seine Vormittagsjause. „Zum Jahrhundertspieler“ steht in großen Lettern über dem Eingang der kleinen Gaststätte und erklärt damit, welche Persönlichkeit sich hier Zeit für ein Gespräch nimmt. „Die Menschen kennen mich noch in Graz“, sagt er. „Aber sie kennen mich natürlich mehr, wenn der GAK gut spielt. Am besten wäre, sie würden Champions League spielen, dann bekommt der GAK auch wieder die besten Jugendspieler“, lacht er.

Mit 29 Jahren kam Ekmecic im Sommer 1977 nach Graz, weil die beiden Stammkeeper verletzt waren. „63 erhaltene Tore? Spielen die ohne Tormann?“, soll er nach seiner Ankunft in Graz über die schlechte Bilanz der Rotjacken in der Vorsaison gesagt haben. „Ich habe mir nicht gedacht, dass ich so lange bleibe, und jetzt ist Graz seit Jahrzehnten meine Heimat“, sagt er. 269 Pflichtspiele am Stück machte er für den GAK bis 1985. „Ich war immer fit und habe auf mich geschaut“, erklärt er.

Aber er achtete nicht nur auf sich, sondern auch auf sein Aussehen. Seine übers Knie reichende Tormannhose wurde wie er zur Legende. Im Inneren seiner Kantine finden sich viele alte Erinnerungen an seine erfolgreiche Zeit beim GAK. Auch an den Pokalsieg 1981, als der GAK vor exakt 40 Jahren als erster steirischen Verein einen nationalen Titel holte. Noch vor Lokalrivale Sturm Graz, der darauf bis auf die 90er-Jahre und die erfolgreiche Osim-Ära warten mussten. „Ich weiß nicht, ob der Cupsieg mein größter Erfolg war. Für Außenstehende ist es so, für mich war jeder abgewehrte Ball ein großer Erfolg.“ Paraden von GAK-Torhütern sieht er auch heute  noch manchmal. Immer wieder sei er im Stadion, nach seiner Zeit als Profi war er GAK-Trainer – Anfang der 90er unter anderem mit den Spielern Ralph Hasenhüttl und Klaus Schmidt. 1997 stand er auch einmal beim DSV Leoben an der Seitenlinie. Mit 73 erfreut er sich noch immer bester Gesundheit und muss das Gespräch kurz unterbrechen. Gäste kommen. Stört es ihn nicht, noch immer zu arbeiten? „Ganz im Gegenteil, das ist eine Beschäftigung für mich. Und alle 30 Minuten ein Bier oder ein Kaffee, ist das Arbeit?“, sagt er und lacht wieder.

Und was wünscht er dem GAK? „Grazer Derbys, die Rückkehr in die Bundesliga, das wäre sehr schön, aber es ist sehr schwer, aus der 2. Liga aufzusteigen.“

Ewige Rivalen

Grazer Derbys – sie spalteten und einten eine Stadt gleichzeitig, weil es knapp davor und danach kein anderes Gesprächsthema gab. 197 Duellen trafen der GAK – den Roten – und der SK Sturm – den Schwoazen – aufeinander. Ein Mann, der aktuell beim GAK spielt, kennt Derbys aus eigener Erfahrung. Er war auch einmal als kleiner Bub in der Köröistraße, später im Meisterjahr 2004 fieberte er im Stadion mit und beim GAK debütierte er 2006 mit nur 17 Jahren als Profi. Heute ist er Kapitän der Rotjacken – Marco Perchtold. „Ich gehöre zu den Glücklichen, die Derbys als Spieler noch erleben durften“, sagt er, nachdem er neben dem Hauptplatz des Trainingszentrums in Weinzödl im Norden von Graz Platz genommen hat. Hier am nördlichen Grazer Stadtrand hat der GAK in den vergangenen Jahren eine neue Heimat gefunden. Hier schaffte der Verein nach dem finanziellen Crash und dem Neustart von der 1. Klasse ausgehend die Auferstehung. Perchtold selbst wechselte 2017 zurück zu seinem Herzensklub in die vierthöchsten Spielklasse – als Bundesliga-Profi. „Ein Beweggrund damals war für mich der Traum, den GAK wieder dort hinzubringen, wo er hingehört – und noch ein Derby zu erleben.“ Denn die einzigen Derbys, die derzeit ausgetragen werden in Graz, sind jene im öffentlichen Raum. Wie so viele andere Fangruppierungen auch, gibt es im roten und schwarzen Lager der Stadt Menschen, die auf Straßenschildern, öffentlichen Toiletten oder Hausmauern ihrer Leidenschaft für ihren Verein Ausdruck verleihen – mit Stickern oder Graffitis. Der Wettkampf: Überkleben und übersprayen von Stickern und Graffitis der Rivalen. „In meiner ersten GAK-Zeit mit 17 oder 18 lebst du einen Traum und schaust nicht viel links oder rechts. Heute merke ich, wie präsent der GAK in der Stadt ist, man sieht wieder die Wimpeln in den Autos. Was der Verein wieder geschaffen hat in den letzten Jahren, ist ein Wahnsinn. Man muss nur hier über den Platz schauen, da steht die Tribüne, die von den Fans aufgestellt wurde, als der Klub noch im Unterhaus aktiv war.“

Perchtold ist 32, er sieht den Klub auf einem guten Weg und hat noch einen großen Traum vor Augen: „Noch ein Derby zu erleben als Spieler, das wäre ein absolutes Highlight. Vor allem: Ich hab ja noch kein Duell mit Sturm gewonnen“, sagt er mit einem Grinsen. Beim bisher letzten Derby, das am 17. Mai 2007 stattfand, war er über die volle Spielzeit im Einsatz, als Mario Haas für Sturm den Siegestreffer erzielte.

Auch Dieter Elsneg war bei besagter Partie im Kader, saß aber auf der Bank. Der 30-Jährige ist seit Anfang des Jahres neuer Sportdirektor der Rotjacken einer von vielen Verantwortlichen bei den Rotjacken, die den Verein im Herzen tragen. „Ich habe hier die Akademie durchlaufen, habe meine ersten Schritte als Profi gemacht und nun will ich in anderer Funktion helfen, den Verein dort hinzubringen, wo er hingehört.“

Das sei auch von Bedeutung für die Region und die Stadt. „Ich bin überzeugt davon, dass dem Grazer Fußball Rivalität auf höchster Stufe guttut.“

Es ist eine ganz besondere Energie, die den neuen GAK auszeichnet und die sich bei Entscheidungsträgern bis hin zu den Fans zeigt. Trainer Gernot Plassnegger, der den GAK mit kurzer Unterbrechung in Lustenau seit Neustart 2013 durchgehend betreut, sagt deshalb: „Für mich ist der GAK mehr als Verein.“ Und gibt eine weitere Erklärung, was diesen Verein ausmacht: „Die Fanbase und Unterstützung ist einmalig, ohne ihre Begeisterung für den Klub wäre unser sportlicher Weg nicht möglich gewesen.“

Gerald Säumel hat diesen sportlichen Weg auch miterlebt. Wie Plassnegger startete er in der untersten Spielklasse und blieb dem Verein lange erhalten. Als Fußballer von Profiformat ging er vor acht Jahren in die Hobbyliga namens 1. Klasse. Nach dem Aufstieg in die 2. Liga und der Fixierung der Rückkehr in den Bundesliga-Fußball beendete er als Routinier und Kapitän 2019 seine Karriere – danach war er als Sportkoordinator Bindeglied zwischen dem GAK und der damals noch ausgegliederten Jugendabteilung GAK Juniors. Mittlerweile sind die beiden Vereine wieder vereint und auch Säumel hat eine neue Aufgabe – er ist GAK-Vorstand und soll dort sportliche Kompetenz einbringen.

„Es ist schon sehr viel entstanden“, sagt er. „Allerdings sind wir noch nicht am Ende unserer Reise. Wir müssen uns noch in vielen Bereichen besser aufstellen.“ Die Reise, sie wird nicht zurückführen an die Körösistraße, aber sie soll dort anschließen, wo der GAK einst war – sie soll aus den Roten aus Graz wieder einen gestandenen Bundesligisten machen. „Noch merken wir, dass der Profibereich sehr schnell auf uns als Verein zugekommen ist“, sagt Gerald Säumel, „aber wir werden unseren Weg kontinuierlich weitergehen. Und irgendwann unseren Traum wahrwerden lassen.“

Text & Fotos: Peter K. Wagner

Dieser Artikel ist im offiziellen Journal der 2. Liga erschienen – erhältlich bei allen Klubs der 2. Liga.

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