Auf der Suche nach der eigenen Identität

23. September 2020 in 2. Liga Cup-Sieg, Kicker mit Weltruf, dubiose Lizenzkäufe, Auf- und Abstiege, EM, Bäume im Stadion: In Klagenfurt gab und gibt es nichts, was es nicht gibt. Wo Eishockey die dominierende Sportart ist, muss sich der Fußball immer wieder neu (er)finden.

Wenn man durch die historische Innenstadt Klagenfurts schlendert, kommt man entlang der Fußgängerzone in der Kramergasse unweigerlich am Wörther­seemandl vorbei, einer seltsam anmutenden Brunnenfigur. Das kleine Männchen in Bronze lässt Tag und Nacht Wasser aus einem kleinen Fass fließen. Der Sage nach war der Gnom so wütend über die lärmende und sündige Stadt, dass er sein Fässchen öffnete und mit einem endlosen Wasserstrahl die Stadt überflutete. Daraus soll der Wörthersee entstanden sein. Das Wörtherseemandl kann auch als Sinnbild des Klagenfurter Fußballs dienen. Denn gesündigt wurde hier im Laufe der vergangenen Jahrzehnte oft. Und bei so manchen Entscheidungen muss man unweigerlich an das Wörtherseemandl denken, das über die handelnden Personen wohl nicht nur einmal Wasser gegossen hätte, um sie auf diese Weise für ihre Schandtaten zu bestrafen.

„Irgendwo zwischen Sibirien und Sizilien“

Ein Blick in die Vereinschronik der Violetten Austria, seit 2010 wieder das Aushängeschild in Klagenfurt, vermittelt Sportgeschichte mit Skurrilitäten, Absurditäten, aber auch einigen Hochblüten. „Irgendwo zwischen Sibirien und Sizilien mit einer ständigen Paternoster-Liftbewegung. Wenn du nicht irgendwo masochistische Wurzeln hast, hältst du das längerfristig sicher nicht aus“, beschreibt der weit über die Landes­grenzen hinweg bekannte Schriftsteller und glühende Fußballfan Egyd Gstättner (58) die Charakteristik des hiesigen Fußballs. Rein rechtlich ist der SK Austria Klagenfurt zwar erst 13 Jahre alt, für die eingefleischten Fans beginnt die Geschichte aber im Jahr 1920 mit der Gründung des „Kaufmännischen Sportvereins“, der sieben Jahre später in „Sportclub Austria Klagenfurt“ umbenannt wurde. Das sollte nicht die letzte Namensänderung sein. Nicht nur deshalb tut man sich als Klagenfurter Fußballfan immer wieder schwer mit der Identifikation. Es gab Zeiten, wo man nicht genau wusste, ob es überhaupt noch einen Klub im Profibereich gibt und wenn ja, wie er heißt. Die Suche nach dem eigenen Ich musste schon öfters neu aufgenommen werden. „Wenn es eine Tradition im Klagenfurter Sport gibt, dann im Eishockey“, gesteht Gstättner. Doch ist es nicht so, dass Fußball-Klagenfurt im Laufe der Jahrzehnte auch größere Erfolge feiern konnte? Was allerdings fehlte, war stets die Konstanz, obwohl von Klagenfurt aus einige namhafte Spieler wie Friedl Koncilia, Robert Fendler, Ewald Türmer, Peter Hrstic, Günter Golautschnig, Arnold Koreimann, Dieter Ramusch oder Guido Burgstaller sogar den Sprung bis ins Nationalteam geschafft hatten.

Erstmals Staatsligaluft durfte die Klagenfurter Austria 1962 schnuppern, zwischen 1965 und 1970 erreichte man zweimal Rang fünf. Mitte der 1970er-Jahre spielten Weltstars wie Lothar Emmerich (Vize-Weltmeister mit Deutschland 1966) oder Weltpokal-Sieger Franz Hasil im Wörthersee-­­Stadion groß auf. Und das teils unter widrigsten Umständen.

„Manchmal war der Verein so pleite, dass wir Spieler im Winter den Platz vom Schnee selbst frei­schaufeln mussten, damit überhaupt gespielt werden konnte“, erzählt Walter Koch, Spieler zwischen 1973 und 1983, im Gespräch mit dem 2. Liga-Journal.

Nach dem Wiederaufstieg 1982 waren die Violetten bis 1989 ohne Unterbrechung im Oberhaus vertreten, bis 1986 stets unten den Top acht. In dieser goldenen Ära gelang es ihnen, die große Wiener Austria drei Mal hintereinander zu Hause zu besiegen. Urgestein Helmut König, der zwischen 1975 und 1985 bei der Austria kickte, erinnert sich: „Wir waren damals eine heimstarke Truppe, sehr offensiv ausgerichtet. Prohaska und Co. hatten schon bei der Anreise über die Pack Angst vor uns. Man muss aber fairerweise sagen, dass unsere Heimspiele gegen die Wiener immer im Hochsommer waren. Die Funktionäre von Austria und Rapid bestanden darauf, weil sie ihre Villen am Wörthersee hatten. Das war aber ein Nachteil für ihre Mannschaft, weil wir ihnen körperlich zu diesem Zeitpunkt überlegen waren. Die Strafe ist dann in den Rückspielen in Wien gekommen, wo wir oft böse Niederlagen einstecken mussten.“

Größte Erfolge mit dem FC Kärnten

Die Austria sei eben immer ein Grenzgänger gewesen, sportlich wie finanziell. „Sie war immer ein politischer Klub der Mächtigen. Unter dem Motto: Alles oder nichts. Es waren stets Idealisten da, aber nie ein solider Vorstand. Wenn es gut gelaufen ist, sind Leute von außen gekommen, haben Geld verprasst und waren wieder fort und ließen die Idealisten im Regen stehen.“ So wie zwischen 1992 und 1996, als sich der Klub plötzlich in den Niederungen des Fußballs, sprich Landesliga, wiederfand. 1997 erfolgte in der Regionalliga eine Spielgemeinschaft mit dem Villacher SV, aus der im Sommer 1999 der FC Kärnten aus der Taufe gehoben wurde, mit dem bis heute die größten Erfolge in der Klagenfurter Fußballhistorie gefeiert werden konnten. Mit Trainer Walter Schachner wurde der FCK Meister in der 2. Liga und gewann als erster Kärntner Verein den ÖFB-Cup. Der regierenden Meister Tirol wurde im Happel-Stadion vor 5.000 mitgereisten Kärntner Fans mit 2:1 n.V. geschlagen. Lohn des Erfolgs: die Teilnahme am Europacup, die auch 2002 und 2003 gelang. Doch der Erfolgslauf hatte nicht lange Bestand. Nach dem Abstieg 2004 ging es stetig bergab. Nachdem der angestrebte Wiederaufstieg von Jahr zu Jahr verpasst wurde, entschied sich die damalige Landespolitik (Ära Haider) im Zuge der Eröffnung des EM-Stadions 2007, mit der Lizenz von Pasching ein eigenes Fußballprojekt in der Bundesliga zu starten. Das war das Todesurteil für den FC Kärnten, der 2009 den Spielbetrieb einstellen musste. Aber auch Austria Kärnten überlebte nicht lange und musste 2010 Konkurs anmelden. Klagenfurt stand plötzlich ohne professionellen Fußballklub da. „Die Verderbtheit, der Dilettantismus der Politik, war so offensichtlich. Der Klagenfurter Fußball war zerstört. Die damals verbrannte Erde hängt bis heute nach“, geht Gstättner mit den damaligen Protagonisten hart in Gericht.

Comeback 2010 in Violett

Fußball galt in der Landeshauptstadt zur damaligen Zeit fast schon als Schimpfwort, zudem hatte der „kleine“ Wolfsberger AC der Landeshauptstadt zu diesem Zeitpunkt längst den Rang als Kärntens Nummer eins abgelaufen. Einige Klagenfurter Kräfte, darunter auch Helmut König, fassten dennoch neuen Mut und stellten die Weichen für einen Neustart. 2010 kehrte die violette Austria im Zuge einer Kooperation mit St. Stefan/Lavanttal in die Regionalliga zurück. 2015, nach dem Regionalliga-Titel, war man zumindest wieder in der zweithöchsten Liga. Für die Stadt fast schon typisch, folgte gleich darauf der nächste Schock: Die Bundesliga verweigerte 2016 die Lizenz, der Klub wurde in die Regionalliga zurückversetzt. Erst 2018/19 war die Austria wieder Teil der neuen 2. Liga. 2019/20 konnte sogar der Herbstmeistertitel eingefahren werden, der Aufstieg in die Tipico Bundesliga wurde denkbar knapp im Duell gegen Ried verpasst. Eine späte Rache des Wörtherseemandls? Aber sei’s drum.

Unterhält man sich mit Klagenfurtern über Fußball, kommt man am mächtigen Wörthersee-Stadion nicht vorbei. Für die EM 2008 gebaut, bietet es Platz für 30.000 Zuschauer. Von einem vollen Stadion bei Meister­schafts-spielen ist man freilich derzeit weit entfernt. Im Vorjahr hielten dort im Rahmen eines von der Politik gestützten Kunstprojekts Bäume Einzug, was bei vielen Sportfans für Kopfschütteln sorgte. „Man kann sagen, typisch Klagenfurt. Nirgendwo sonst hätte eine Stadt sowas zugelassen“, kritisiert Gstättner. Dabei sei das Stadion für die Stadt sehr bedeutend, zumal hier nach Wien die meisten ÖFB-Länderspiele ausgetragen werden. „Ich hoffe, dass Klagenfurt mit dem Stadion mitwächst. Dafür ist aber auch eine Sichtbarmachung des Fußballs und des Klubs notwendig. Da besteht Aufholbedarf.“ Immerhin gibt es mit dem Café Herzig am Neuen Platz, das von Matthias Dollinger (Meister mit dem GAK & ÖFB-Teamspieler), schon einen violetten Treffpunkt, wo die Klagenfurter Fußballfans fachsimpeln können.

„Es ist wieder eine Austria-­Familie im Entstehen“

Der sportliche Hoffnungsträger, mit dem nun endlich Ruhe und Kontinuität Einzug halten soll, ist die Hamburger Gesellschaft „Home United“, die Anfang 2019 die Austria übernommen hat. Walter Koch steht dieser Entwicklung positiv gegenüber: „Die Menschlichkeit ist zurück, es ist wieder eine Austria-Familie im Entstehen.“ Gstättner sieht es ähnlich: „Ich bin froh, dass die Führung von außen kommt und politisch völlig unabhängig agiert. Die Deutschen kennen sich im Fußball aus. Natürlich muss die Tradition noch wachsen, das geht nicht von heute auf morgen. Aber die Initiativen, die momentan gesetzt werden, stimmen mich positiv.“ Sprach’s und schließt mit einem berühmten Zitat von Ernst Happel: „Werd’s sehen, da wird was draus …“

Von Franz Hollauf

Dieser Artikel ist im offiziellen Journal der 2. Liga erschienen – erhältlich bei allen Klubs der 2. Liga.

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