Keiner ist so Wacker wie Willi

14. April 2020 in 2. Liga Innsbrucks Herz schlägt steirisch. Seit 1966 ist Willi Almer der Mann für Alles bei Wacker. Egal, ob es an Werkzeug, Ballbuben, Werbebanden, Regenschirmen oder einem Zeugwart fehlt – der 83-Jährige ist immer da, wo ihn sein Verein braucht.

53 Jahre Klubgeschichte auf einem kleinen A5-Blatt. Willi Almer hat sich für den Termin mit dem 2. Liga-Journal einen Spickzettel gebastelt. Wer mehr als ein halbes Jahrhundert FC Wacker erlebt hat, kann schon mal ausschweifen. Auf das Papierl hat der pensionierte Vizeleutnant seine besten Anekdoten gekritzelt – damit er ja alle aufzählt. „Natürlich nur die, die ich dir erzählen kann“, sagt er. Und so wie er dabei verschmitzt lächelt, ist klar: Es geistern gerade Geschichten durch seinen Kopf, die maximal beim nächsten Legenden-Stammtisch die Runde machen.

Aber auch so hat Willi viel mehr gute Storys auf Lager, als in einen Vormittag passen. Und so liefert er sich einen erbitterten Kampf mit seinem handgeschriebenen Skript – einen, den er nicht gewinnen kann. Denn der Wahl-Tiroler, der eigentlich aus Pischelsdorf in der Steiermark kommt, hat mit seinem Klub schon viel mehr Höhen und Tiefen erlebt, als auf seinen Zettel passen. Und das in so ziemlich jeder Rolle. Nachwuchstrainer, Zeugwart, Ballbuben- und Werbebanden-Koordinator, Schneeräumer, Schiedsrichterbetreuer – wer etwas braucht, ruft den Willi an. Das ist noch heute so. Natürlich auch, wenn im Stadion wo ein Kabel fehlt oder bei einer Vereinswohnung eine Schraube locker ist. „Zwei Tage vor dem FC Tirol-Crash haben wir noch die Wohnung vom Jogi Löw ausgemalt.“ Dann kam der Schock von dem Innsbrucks Fußball sich laut Willi bis heute nicht erholt hat. „Als das Fax mit der Nachricht kam, habe ich noch nie so viele Männer weinen gesehen. Eine Welt ist zusammengebrochen.“

Ganz oben auf Willis Schummelzettel steht aber ein anderes Datum. „01 09 66“. An diesem Tag begann seine innige Beziehung mit dem FC Wacker Innsbruck – denn da holte ihn Walter Ludescher als Nachwuchstrainer zum Verein. Nach Tirol gekommen war Almer schon 10 Jahre vorher als 20-Jähriger – er wurde vom Heer nach Absam versetzt. So tingelte der Sektionsleiter des HSV Innsbruck nun auch mit dem Innsbrucker Nachwuchs um die Welt. Brannte so innig für den Verein, dass er fast ausbrannte. „Von 6 Uhr früh bis 22 Uhr hab ich jeden Tag gearbeitet“. 1975 musste er die Reißleine ziehen. „Ich hatte gar keine Freizeit mehr. Ich habe als Nachwuchstrainer aufgehört und mir ein halbes Jahr Auszeit genommen.“ Bis wieder der Ruf des Klubs kam. Die Rückendeckung seiner Frau Luise mit der er zwei Kinder hat, war Willi (heute ist er schon Uropa) gewiss. Kein Wunder, ist sie doch bis heute glühender Wacker-Fan. Nur eines mag sie nicht, verrät Willi: „Dass ich bei jedem Foto so ernst schau“ Und wirklich: Immer wenn ein Objektiv auf den sympathischen Steirer gerichtet ist, versteckt er seine Herzlichkeit hinter einer ernsten Miene.

Die verflüchtigt sich aber sofort, wenn Willi an die vielen Trainer denkt, die er in seiner langen Zeit als „Wacker-Mann für alle Fälle“ kennenlernen durfte. „Der Happel hat gesagt, Punkt 10 Uhr Abfahrt vom Stadion. Zwei Spieler sind ganz knapp zu spät gekommen – der Bus ist einfach ohne sie losgefahren. Sie sind mit dem Taxi hinterher – erst an der Grenze bei Kufstein konnten sie zusteigen. Beim Spiel hat sie der Happel die ganzen 90 Minuten aufwärmen lassen und nach dem Schlusspfiff duschen geschickt.“ Zu dieser Zeit hatte auch der damalige Zeugwart „Mucky“ Mayrhofer* noch mehr mitzureden.* „Wenn der Mucky zum Trainer gesagt hat, der Spieler hat seine Schuhe nicht geputzt, ist er beim nächsten Match auf der Bank gesessen.“ So mancher fragte auch Willi um seinen Rat: „Der Stani Tschertschessow wollte von mir mal wissen, ob er die Spieler im Training eh nicht zu hart ran nimmt. Ich hab gesagt: Nein, nein, das passt schon. Nur ein paar jammern ein bisschen. Da ist er hellhörig geworden. Aber bei ihm hast du nie gewusst, ist er grad böse oder ist das nur sein Schmäh.“

Auch zu „Otto Maximale“ gibt es ein Schmankerl. „Als Wacker mit Wattens fusionierte hatten wir viel zu viele Spieler. Der Baric hat nicht gewusst, wen er aufstellen soll. Bis kurz vor dem Match wusste kein Spieler, wer spielt. Die einen haben Stutzen angezogen, die nicht zu den Hosen gepasst haben, die anderen irgendwelche Trikots. Es war ein Riesen-Chaos.“ Doch Willi weiß, Chaos kann im Fußball auch dein Freund sein. Da war dieses eine Europacupmatch 1986, als der Schiri das Match nach 20 Minuten wegen Regen unterbrechen musste. Wie hieß nochmal der Gegner? Willi zieht sein altes Handy und seinen Telefonjoker. „Serwas, Mucky! Achja Sredez Sofia war das.“ Innsbruck lag am alten Tivoli 0 : 1 hinten. Willi sollte den Platz vom Regenwasser räumen. „Wir haben es aber nur im Kreis geschoben“, lacht er. Das Match musste abgesagt werden. Bei der Neuaustragung gewann Innsbruck 3 : 0 und stieg nach einem 0 : 2 in Sofia in die nächste Runde auf. „Die Bulgaren waren so angefressen – die haben uns an der Grenze die Pässe abgenommen und wollten uns nicht mehr ausreisen lassen“, weiß Telefonjoker Mayrhofer.* Natürlich kann Willi auch ganz anders, wenn es sein muss. So befreite er mit seiner Crew 1978 den Tivoli in 24 Stunden von einer gewaltigen Schneedecke. Und machte so erst den Europacup-Wundersieg gegen Mönchengladbach (3 : 1) möglich. Da schied man aber nach einem 0 : 2 auswärts noch aus.

Willi zeigt uns jetzt sein Kammerl. Es ist sein kleines Königreich. Auf ein paar Quadratmetern Unmengen an Werkzeugen, alle fein säuberlich in Kisten sortiert. Werbebanner, ordentlich zusammengerollt und nummeriert – nach Gegner und Matchtag. „Die hängen wir als Vorschau auf das nächste Match immer zum Kreisverkehr“. Daneben die Jacken für die Ballbuben, die Leiberl für die Kinder, die mit den Mannschaften aufs Feld laufen. „Die dürfen sie sich sogar behalten“, strahlt Almer. Kein Zentimeter hier ist ungenützt. Ein Kühlschrank – mit einer Sektflasche, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Ein Schreibtisch. Davor ein Sessel, in dem Willi wohl nur selten Platz nimmt. Auf der Pinnwand der Matchplan und ein Bild von Bruno Pezzey. „Jeder holt sich Zeug von mir, aber zurück kommt nicht so viel“, lächelt Willi, ohne sich wirklich zu ärgern. Dafür ist dieser Mann viel zu freundlich. Die gute Seele wie sie im Buche steht.

Es wirkt, als könnte ihn nichts mehr erschüttern. Selbst der Abstieg letzte Saison: „Wie soll es einem nach sowas schon gehen? Ich habe aber schon sechs Runden vor Schluss geahnt, dass es so endet. Das Gute ist, dass die 2. Liga auf 16 Mannschaften aufgestockt wurde. So können wir zwei Jahre in Ruhe eine neue Mannschaft aufbauen.“ Und doch gibt es etwas, auf das sollte man Almer nicht ansprechen. Das Kryptonit des Wacker Superman heißt: Roman Wallner und Roll-Werbebanden. „Oh Gott. Eine Katastrophe.“ Bis 2018 bekam Willi 15 Jahre lang wenig bis nichts von den Spielen mit. Denn er musste penibel genau überwachen, ob die Roll-Werbebanden ihren Dienst tun. „Über 216 Laufmeter mit 10 Rotationen – und immer klemmt es irgendwo. Ein Horror.“ Einen, den  Roman Wallner noch verschlimmerte, wenn er nach einer vergebenen Chance dagegen trat. Der Willi musste dann verzweifelt die Löcher stopfen. Die größte Erfindung des Jahrtausends heißt für Almer daher nicht Smartphone, sie heißt LED-Bande. Denn seitdem kann er jetzt wieder das Spiel verfolgen – das tut er links neben der Ersatzbank.

Den Stress hat er jetzt vor und nach dem Match – denn wegen dem Einzug von WSG Swarovski Tirol am Tivoli müssen die zusätzlichen Werbebanner immer wieder ausgetauscht werden. Willi fürchtet schon das Chaos, wenn im Frühjahr auch noch die Saison der Swarco Raiders beginnt. Aber, Moment! Zurück zum Skript. Da steht ja noch „Jazz Gitty“ und „Fritz Stuchlik“ auf Almers Schummelzettel. Darüber – und warum er ja eigentlich Sturm-Fan ist – reden wir lieber das nächste Mal. Willis Papierl hat er nach dem Gespräch übrigens in der Kabine vergessen. Egal: Weil den FC Willi, pardon FC Wacker, trägt er ohnehin immer mit sich. Und schon sitzt er auf seinem flotten Bike und radelt nachhause nach Hall. 2.000 Kilometer spult er jedes Jahr für seinen Verein ab. Haben wir das schon erwähnt?

* Mucky Mayrhofer ist leider wenige Tage vor Veröffentlichung unserer Story verstorben.

Von Christoph König

Dieser Artikel ist im offiziellen Journal der 2. Liga erschienen – erhältlich bei allen Klubs der 2. Liga.

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